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Foto: Nataliya Hora/fotolia

Titelthema

Kein Brot, kein Tisch, kein Strom

Als der Mensch vor ein paar Millionen Jahren auf die Beine kam – streiten wir uns nicht über exakte

Zahlen: Anthropologen gehen davon aus, dass Frühmenschen der Gattung Homo schon vor

2,8 Millionen Jahren gelebt haben könnten – hat er sich erstmal auf Mutter Natur verlassen.

Sie hat

ihn mit allem ausgestattet, was er so zum Überleben brauchte. Sie schenkte ihm Augen und Ohren,

damit er seine Umwelt überhaupt wahrnehmen konnte, Hände mit Fingern dran, damit er sie verän­

dern konnte, und Füße mit Zehen, damit er vernünftig stehen und – falls es mal nicht so lief, wie ge­

plant und der Säbelzahntiger in der Nähe war – schnell weglaufen konnte. Im Laufe der Zeit, nennen

wir es Evolution, hat der Menschen eine Menge dazu gelernt. Er hat das Feuer unter seine Kontrolle

gebracht, das Rad erfunden, sich und seine naturgegebenen „Geschenke“ verbessert, neue Techniken

erlernt und immer kompliziertere Werkzeuge entwickelt. Und er hat gemerkt, dass es cleverer wäre,

wenn nicht jeder versucht, alles zu können, sondern man die Arbeitsbereiche aufteilt. Bis sich die

Spezialisierung der Handwerkstätigkeit wirklich durchsetzte, hat es zwar eine Weile gedauert, doch

irgendwann gehörte es dann zum Alltag, sich auf Märkten, in Läden und Werkstätten mit Lebens­

mitteln, Kleidung und Co. einzudecken, statt es in der häuslichen Produktion selbst herzustellen. Das

Handwerk war im Kommen. Doch trotz des wachsenden Erfolges haftete ihm ein schlechter Ruf an.

Schon die alten Griechen, allen voran die Philosophen, sahen das Handwerk als etwas, das man eher

mit naserümpfender Verachtung betrachtet. Anstrengende Zeitfresser, die den Körper schädigen, aber

trotzdem nichts für echte Männer sind. Besonders erstrebenswert war das nicht, abgesehen vielleicht

vom Kunsthandwerk.

Und heute? Heute schaut der Mensch mithilfe von Teleskopen rauf in ferne Galaxien, kann dank

Raumstation sogar selbst ein bisschen näher ran, baut Häuser, Straßen oder auch Implantate, mit

denen Taube wieder hören können, ersetzt mit Prothesen ganze Körperteile, die mit Hirnströmen

gesteuert werden – und man hat immer noch das Gefühl, das Handwerk hat nicht den besten Ruf.

Hochschulabschluss ja! Kaufmännische Berufe, gern! Aber Ausbildung im Handwerk? Ist das nicht an­

strengend und nur was für die, die nichts anderes können, die theoretisch nichts drauf haben, mit

Muskeln statt mit Köpfchen arbeiten? Dazu ein klares: Wie bitte? Schon mal ins Handwerk hineinge­

schaut? Wohl eher nicht. Natürlich gibt es im Handwerk immer noch Berufe, die einen körperlich mehr

fordern als ein reiner SchreibtischJob. Dank moderner Technik sind die aber auch nicht mehr das,

was sie mal waren. Und dann gibt es da einfach noch viel, viel, viel mehr. Handwerk ist nämlich überall,

und ohne Handwerk wäre überall nichts: kein Brot, kein Tisch, kein Strom im Haus, keine Zahnersatz,

keine Brille, keine Frisur – oder zumindest keine gute. Davon mal abgesehen: Auch Karriere gibt’s im

Handwerk – nicht nur auf der selbstgezimmerten Leiter, auch an der Hochschule. (mü)

Foto: Kzenon/fotolia